Ein Bus, er steht und wartet, weil er nur mit Vroni startet. Am Freitag dem 5. Sept.2008 war’s, um sieben Uhr in der Früh. In einem Bus, an der Friedhofsmauer vor der Kirche in Elbach sitzen zwanzig Männlein und Weiblein aus dem Leitzachtal, aus Kreuth, Hausham und Miesbach, ja sogar aus Salzburg. Ihr Ziel: Castagnaro im Veneto.
Neunzehn waren’s an der Zahl, aber zwanzig sollten es sein und das ist der Grund warum der Bus noch steht und wartet: Donna Veronica, gran dama dell‘ ordine dei castagnari war so tief in ihre morgentliche Zenmeditation abgetaucht, daß sie die Zeit vergaß, aber da!!! Die Kirchturmuhr schlägt sieben- ein Satz, ein Schrei, ein heißer Reifen um fünf Ecken und auch Vroni war dabei. Es konnte losgehen und wir Freundeskreisler schwebten über die Autobahn, dem Veneto entgegen. Michael , unser condottiere hatte ein minutiöses Programm ausgearbeitet, das uns durch die folgenden Tage führen würde.
In Malcesine am Gardasee war das Mittagessen angesagt und nach einem kurzen Spaziergang landeten wir, auf vier Tische verteilt, in einer sehr netten Pizzeria, direkt am Wasser. Scheppern von Tellern, Klappern von Geschirr und inmitten dieses Stimmengewirrs ein denkwürdiger Dialog zwischen zwei Tischnachbarn: „Ja welche Pizza nimmst denn du nacha?“ „I nimm die quattro formaggi, die is guat, di kenn i !“ „Dann is guad, de tat i wahrscheinlich aa meng woin.“.
Wie gesagt, das Essen war gut, die Unterhaltung rege, der Wein kühl, die Luft lau, kein Wunder, daß unsere Herzen aufloamten und wir alle den Zauber des Augenblicks genossen.
Nach dem Essen spazierten wir, inmitten von Touristen aus aller Welt und durch malerische enge Gassen und kleine Plätze- wie wenn man dauernd durch Postkarten laufen würde- zum Schiff nach Sirmione. Und keiner fehlte !!! Wieder schwebten wir dahin, diesmal auf dem Wasser. Zweieinhalb Stunden lang kreuzten wir über den See, von einem Anleger zum nächsten, sahen alte Villen, Hotels aus der Jahrhundertwende und Blumen und Blüten überall, vor allem Kaskaden von Bougainvilleas über alten Mauern.
In Sirmione wartete schon Peter mit dem Bus und weiter ging es nach Castagnaro, wo uns auf der Piazza die italienischen Freunde und Gastgeber erwarteten. Der größere Teil von uns war am Abend zu Gast bei der Festa della birra, während sechs von uns eingeladen waren zum Abendessen bei Silvia und Ihrer außergewöhnlich lieben Familie. Ganz kurz nur: Tagliatelle mit Hasenragu, Fondue mit Rindfleisch, Kalb- und Hühnerfleisch, dazu von Silvia hausgemachte Soßen, diverse Weine bin hin zu einem Amarone. Zum Dessert Eistorte mit Likören die auch von Silvia höchstselbst gemacht wurden. Gaumenfreuden eben, aber das war ja nicht alles: Dazu muß man sich vorstellen einen allmählich anschwellenden Redestrom, der sich steigerte bis zu temperamentvollen Verbal- Scharmützeln im Stehen und Sitzen… ein lebhaftes parlando, discutando und declamando con brio, tremolo und fuoco, um dann auszuklingen in ein langsames ritardando weil immer mehr Likör bevando. So schön endete für uns Sechs der erste Tag in Silvias factory.
Am zweiten Tag -dem Samstag- trafen wir uns wieder alle auf der Piazza in Legnago, aber seltsam: Die, die auf dem Bierfest waren -zumindest die Männer- wortkarg, grünlich und abwesend! Gut gelaunt hingegen und relativ redselig wir, die wir beim Weine saßen. Ja wia denn des? Ganz einfach: Bier in großen Mengen im Land des Weines ist grad so verhängnisvoll wie Wein in großen Mengen im Land des Bieres! Gründe dafür gibt es zu Hauf: Das Wasser, die Luft, die Gewohnheit, die Stimmung, es ist halt so, salute !!
Dann ging es auf nach Poiana, um eine der vielen schönen Villen aunzuschauen, die Andrea Palladio für die Großgrundbesitzer aus Venedig und dem Veneto gebaut hat. Ein kluger Hausverstand fürs Praktische paart sich bei ihm mit einem ausgewogenen Gefühl für Schönheit und Proportionen.
Gegen Mittag folgte die Besichtigung der Cantina Merlara. Es war heiß und schwül, aber in den Räumen der Kellerei angenehm kühl. Wir stolperten über dicke Plastikschläuche durch die die Maische und der Saft hin- und hergepumpt wurden, von einer Verarbeitungsstufe zur nächsten. Riesige Tanks standen herum, Stahlzylinder rotierten und sonderten an ihrer Aussenhaut eine gräußliche grüne Glubbermasse ab; in einem Bottich blähte sich eine schaumige Schwammwolke, Messinstrumente blinkten, über Eisentreppen ging es hinauf und hinunter… alles in allem eher ernüchternde Eindrücke von der Weinwerdung. Es ist ein wenig so, als würde man hinter dem Schlachterladen das Schlachthaus anschauen. Schöner ist allemal das Trugbild von holden Bacchantinnen, die trunken und singend im Kreise die Trauben treten, während lustige Burschen die Torggl drehen.
Auf die Weintechnik folgte eine Weinverkostung mit dem tüchtigen und freundlichen Kellermeister. Aus der ernüchternden Technik probierten wir dann doch vorzügliche Tropfen, die uns zum anschließenden Einkaufen annimierten.
Zurück in Castagnaro ging es direkt in das gemütliche Vereinsheim der Alpini, der Baita, im Souterrain des Rathauses, wo eine angenehme Temperatur herrschte, denn im Freien war es brütend heiß. Gekocht und aufgetragen wurde das Essen von den Veteranen. Unterstützt wurden sie von einer verschmitzt freundlichen Mamma, die immer wieder die Weinflaschen nachfüllte und großzügig Tortenstücke nachreichte. Es gab Tagliatelle mit Fleischragu, einen Fleischgang mit Salat, Käse, Torte, Espresso und Grappa und dazu eine Stimmung wie in einer temperamentvollen Großfamilie. Alles diskutierte, alle waren zweisprachig und weinselig. Zurück bei unseren Gastgebern konnten wir uns ausruhen! Kultur schlaucht !
Am Spätnachmittag ging es mit dem Bus nach Montagnana, wo im Corte des Castello ein Essen im mittelalterlichen Rahmen gegeben wurde mit Holzbesteck, Schüsseln und Bechern und gewürztem Wein. Hier ging es aber nicht so hoch her wie bei den alten Rittersleit, es gab schon ein paar mittelalterliche Tanzfiguren und ein paar Rüstungen mit Rittern gefüllt hieben aufeinander ein. Aber alles in allem, auch was den kulinarischen Teil angeht, war das Spektakel eher mittelalter- extralight. Personal- und arbeitsmassig war wohl alles auf das große Ereignis am Tag darauf -den Palio- eingerichtet. Durch die nächtlichen Gassen im überfüllten und pulsierenden Montagnana ging es zurück zu unserem Bus und wieder: keiner ging ab! Mir ist das ein Rätsel zumal ich – in den abendlichen Gassen von Montagnana herumspazierend- den Anschluß an unsere Gruppe verloren hatte. Im letzten Augenblick, schon hinter einem Hauseck verschwindend, sah ich gerade noch einen breiten Rückenmit Hosenträgern, eine stämmige Wade und den Stock: der Hartl ! und da muß der Chronist innehalten und etwas abschweifen: der Hartl, so geht er dahin, nein so schreitet aus, überm linken Arm die Joppe, auf dem Kopf den grünen Filzer, übers Kreuz die Hosenträger, in der Rechten den Stock; so durchmißt der Hartl festen Schrittes die Welt -ob Mittelalter oder Neuzeit- mit offenem Blick, ohne Vorurteile, mit klarer Sicht und treffendem Wort.
Eines steht fest, Hartl, wenn Rußland in absehbarer Zeit Bayern oder auch nur Oberbayern als eigenen Staat anerkennt, wie es das da drüben vorexerziert hat in Georgien, dann wirst Du und niemand anderes Botschafter im Veneto. Das Gwand dazu hast du schon, den nötigen Witz auch und in Fragender hohen Politik steht dir der Wascht bei, der ja jetzt schon unsere ständige Interessenvertretung daselbst leitet ! Deine Botschafterresidenz wird die Palladio- Villa werden, die haben wir ja schon inspiziert, ein paar Möbel müssen noch rein, ein Wirtshausschild raus: „Ambasciata dell‘ Alta Baviera nel Veneto“ und der Kas is bissen! Noch einen Vorschlag mit Verlaub, Herr Botschafter: die Kellergewölbe der noblen Villa erfüllen alle Voraussetzungen , um Deine künftigen Besucher -wir vom Freundeskreis werden oft und gerne unsere Aufwartung machen- großzügig zu bewirten. Das werden wunderschöne, geschichtsträchtige Festlichkeiten werden: Politik, Kultur und Wirtschaft werden endlich wieder im Gleichgewicht zusammenfinden, zwischen Wein- und Grappaflaschen werden Alpini und Gebirgsschützen gewaltig zechen und aus satten runden Wampen werden Bässe erklingen und die schönen und schwermütigen Lieder der Berge in Nord und Süd singen. Ermattet fallen zu später Stunde alle auf ihr Strohlager in den Feldern hinterm Haus, zugedeckt von der lauen Abendluft. Du aber, Herr Botschafter Hartl, wirst vor Deine Residenz treten mit Joppe und Hut und Stock, dir den Bart streichen, zur Mondsichel aufschauen und vor Dich hinmurmeln „Schee wars- guad is !“.
Nach diesem unerläßlichen Abschweifer geht’s zurück -vom Mittelalter direkt ins Bett, der Palio, das Hauptereignis, liegt vor uns- Ruhe tut Not.
Am Sonntag um halb elf war heilige Messe in der Kirche von Castagnaro; eine schöne Messe mit Chorgesang und einem herrlichen Sopran. Der Pfarrer begrüßte in seiner Predigt ausführlich die Gäste aus Fischbachau und dieser Teil der Ansprache wurde auch ins Deutsche übersetzt.
Nach der Messe und einem Aperitiv- Aperol-Spritz -welch ein Genuß- im Cafè an der Piazza strebten Alle wieder hin zum Vereinslokal der Alpini. Und wieder standen diese zwei grimmig gütigen Veteranen mit Schürze und Bürstenschnitt da, zusammen mit der verschmitzten Mamma, und brachten Köstlichkeiten auf die Tische. Ein Risotto !!! ein Ragu !!! dann Kalbfleisch mit typischen Beilagen aus der Region, Salat, Käseplatte, Weine, Torte, Espresso – und die Grappaflasche auf dem Tisch…kein Wunder, daß es in dem kleinen Souterrainraum bald zuging wie im Hexenkessel, nur zweimal unterbrochen von einer Ansprache der beiden Vorstände, grad so lang wie man brauchte, um einen Espresso zu schlürfen und einen Grappa zu kippen. Danach konnte man applaudieren und das half beim Verdauen. Und dann wurden auf einmal Alpinilieder gesungen: „Vino vino vino e baci ancor….“ und “ Mi piace il vin me son alpin“. Hätten unsere Großväter diesseits und jenseits der Alpen diese Szene gesehen, sie hätten sich wohl gefragt „Wozu“, so wie wir uns heute fragen „Warum“.
Zurück ins Heute und zu unserem Bus, der uns zum Ausruhen in unsere Quartiere brachte, denn um 17 Uhr fing ja der Palio an, das Pferderennen der zehn Gemeinden.
Als wir in Montagnana ankamen, war der historische Umzug durch die Gassen der Stadt schon in vollem Gange. Jede der zehn Gemeinden , die am Palio teilnehmen, war darin vertreten mit sehr schönen Kostümen, welche die einzelnen Akteure aus Volk, Kirche und Adel darstellten.
Wir gelangten langsam zum Festplatz und nahmen auf der Tribüne Platz. In unserem Blickfeld die Stadtmauer, darunter, auf einer Hangwiese, ein buntes Völkchen von Zuschauern. Vor der Zuschauertribüne unten der Rasenparcours. Das Spektakel begann mit dem Einzug der historischen Vertreter der zehn Gemeinden. Das Gepränge an Kostümen, Karren, Fahnen, Waffen und Rüstungen in der Sonne auf dem grünen Rasen muß man gesehen haben, das war einmalig. Dann, um 17:30, nach drei Fehlstarts das Signal zum Start der ersten Staffel von fünf Pferden. Geritten wird ohne Sattel, die Wendepunkte wie in römischen Wagenrennbahnen extrem eng, so daß ein Reiter den Halt verlor und ohne Pferd und das Pferd ohne Reiter das Rennen bestreiten mußte. Hochstimmung und Spannung…. doch wir mußten aufbrechen, weil unser Bus um 18 Uhr abfahren mußte, um die Fahrzeiten des Busfahrers nicht zu überschreiten !!! Wir also zähneknirschend raus aus der mittelalterlichen Vergangenheit, was um so schmerzlicher war, als die Zuschauer in der Nacht ein zweiter Höhepunkt erwartete: Die ganze Altstadt innerhalb der Stadtmauern sollte in einem gewaltigen pyrotechnischen Feuerwerk ein Raub der Flammen werden, gerade so, wie Ezzelino da Romano, ein übler Machtmensch und Mordgeselle es 1242 vorgemacht hatte.
So unwillig wir uns auch dem Fahrplan unterwarfen, es hatte auch etwas gutes. Es begann nämlich zu schütten, ein echter Kittelwascher ! Auf der Tribüne wäre es jetzt ziemlich ungemütlich gewesen, aber auf unserem Weg zum Bus nicht weniger, denn fast keiner hatte einen Schirm dabei. Das war um 17:47, ich weiß das deshalb so genau, weil ich zufällig auf die Uhr geschaut habe, als die ersten dicken Tropfen fielen. Im Bus kam ich, naß bis auf die Haut, am Michael vorbei, der, knochentrocken, schon auf seinem Platz saß, das Reiseprogramm auf den Knien. Und was sehe ich da unter der Rubrik Sonntag 7. September? Da les ich doch tatsächlich unter dem Programmpunkt 15:00 Beginn des Palio -nicht etwa mit der Hand eingefügt, sondern in der original Computerschrift:
17:47 Platzregen
Jetzt seid Ihr dran !!! (Kleiner Scherz des Chronisten!)
Auf der Heimfahrt hüllte die Dunkelheit unseren Bus mit den neunzehn Heimkehrern (Hartl hat kurzfristig verlängert und wollte mit Wascht später heimfahren) ein wie ein Raumschiff, das aus einer anderen Welt zurückkehrend mit Alpini, Palladio und Tagliatelle und aus einer fernen Zeit mit Palio, Rittern und Burgfräulein herabgleitet ins Hier und Jetzt auf den kleinen Parkplatz an der Friedhofsmauer der Kirche von Elbach.
Ein Dank an unsere fantastischen Gastgeber
und ein Dank an unseren Chronisten für diesen wunderbaren Rückblick !!!!!