Freitag
„Um Gott´s Wuin, da Wecka is ganga!“ Diesen Ausruf konnte man in so manchen Schlafzimmern hören, es war schließlich erst halb fünf oder fünf Uhr morgens. Man wusste aber, es ging wieder auf nach Castagnaro zur offiziellen Besuchsfahrt, also: Raus aus den Federn! Zwei Kleinbusse waren unterwegs und starteten um ca. 6:00 Uhr von Christian Dehnerts Haus. Nach dem Einsammeln einiger Zusteiger waren wir schon auf dem Weg Richtung Deisenried, auf der Kuppe in Roßruck schwer beeindruckt von einem grandiosen, spektakulären Morgenrot, mit dunklen Bergsilhouetten im Hintergrund, ein sehr malerischer Abschied vom Leitzachtal.
Die erste kleine Jause kam von Rita, die köstliche Butterbrezen dabeihatte. Alle waren auch glücklich über das tolle Wetter, das uns auch noch bis zum Sonntag erwarten sollte. Auf der Autobahn hielt sich der Verkehr in Grenzen, so dass wir zügig vorwärts kamen. Im Halbschlaf zogen die Prachtberge des Inntals vorbei, Innsbruck, links Richtung Süden: Erster Halt wegen gewisser körperlicher Notwendigkeiten. Zunehmend stellte sich eine ausgelassene Hochstimmung ein: Witze und Situationskomik lösten sich ab. Rauf zum Brenner, drent wieder runter, in Rovereto der notwendige zweite Halt. Dann bei Ala weg von der Autobahn und bei Sabbionara rauf in die Monte Lessini. Über abenteuerlich enge Straßen durch unberührte Natur – gibt’s da Bären oder Wölfe? – ging´s ins Val Pantena, durch Bellori, wo sich ein Marmorbetrieb an den anderen reihte.
Nach der Ankunft in Grezzana bogen wir zur Firma REDORO ein, die durch ihre Olivenölproduktion zu einiger Berühmtheit gelangte; sie beliefert Gaststätten und Betriebe in ganz Italien. Signora Barbara, eine Deutsche aus Meppen, die seit 55 Jahren in Italien lebt, führte uns äußerst fachkundig durch die Produktionsstätten: Anlieferung in Kisten, Trennung von Blättern und Früchten, 4 Stück je 10 Tonnen schwere Mühlsteine zerquetschen die Früchte, zerquetschte Kerne werden aussortiert; grüne Oliven werden früher geerntet, später werden alle Oliven dunkel; Öl aus grünen Oliven kratzt etwas wegen der enthaltenen Polypholenen im Hals; 16 bis 20 Kg für 1 Liter Öl; Wir durften auch in den weiträumigen Keller: Automatische Abfüllanlage; Henkelflaschen; Verpackung in Schachteln; Paletten für den Transport und die Anlieferung; im Abfüllraum 18 riesige schlanke Edelstahl-Kessel mit je 18 000 l Inhalt, im weiteren Kellerraum weitere ca. 30 Kessel. Zu unserer Verköstigung gab´s Olivenöl-Brötchen, welche mit grüner und dunkler Olivenpaste, Prosecco, Weißwein, Ginger-Ale und Wasser. Die Stimmung war blendend, auch angesichts eines Prachtwetters, das sich alle gewünscht hatten.
Das Mittagessen nahmen wir im Ristorante Redoro in Grezzana ein. Dieses Lokal ist bei Handwerkern sehr beliebt, deshalb mussten unsere Fahrer erst Parkplätze ausfindig machen. Nach der Vorspeise wurde gegrillte Schweinelende, Kalbfleisch mit Zitronensauce, Salat und Gemüse gereicht. Gut gestärkt stand gegen 15:00 Uhr die Weintour mit Verkostung in der Cantina Valpantena an. Signora Samantha war unsere sehr engagierte Führerin. Eine Anlieferung von Trauben konnten wir gerade noch sehen: Ein Traktor mit Anhänger, der seine Ladung in eine gemauerte Bodenvertiefung kippte. Vorher war natürlich das Gewicht und der Zuckergehalt („Öchsle“…) bestimmt worden. Darin befindet sich eine Transport-Schnecke, damit die Trauben gleichmäßig in die Maschinerie gelangen. Zur Produktions-Genossenschaft – seit 1958 – gehören 700 Mitglieder mit 1800 Weinbergen; aus ca. 30 Tonnen Weintrauben werden 20 Millionen Flaschen Wein produziert. Klassifizierung der italienischen Weine: Landwein, Tafelwein, D.O.C. (denominatione di origine controllata), D.O.C.G. (denominatione di origine controllata garantita). Verschiedene Weinqualitäten benötigen auch verschieden lange Gärungszeiten.
Unzählige Holzfässer aus französischer und amerikanischer Eiche mit bestem Wein lagern im Keller. Und aus den Beeren-Schalen und Kernen wird Grappa hergestellt. Die Flaschen für Italien erhalten Korken aus Kunststoff (Normalwein) und solche aus Naturkork (Spitzenweine), Flaschen für den Export erhalten Schraubverschlüsse. Nach dem Rundgang durch die Cantina folgte eine ausführliche Weinverkostung. Die für unseren Christkindlmarkt georderten Weine „Pino Grigio, Corvina und Ritocco“ wurden detailliert besprochen. Die Produktion, die Eigenarten der Weine und deren besondere Verwendung wurde uns ausführlich nahegebracht. Außerdem durften wir noch den König der Weine, den „Amarone“ und den Desertwein „Recioto“ probieren. Alle Teilnehmer waren höchst begeistert und angetan. Die sehr umfangreiche und zeitaufwändige Führung hatte prompt eine halbstündige Verspätung in Castagnaro zur Folge. Dort wurden wir herzlich und überschwänglich von unseren italienischen Freunden begrüßt.
Vor dem Rathaus warteten schon unser Bürgermeister Stefan Deingruber mit Frau Ursula, ein großes Empfangskomitee mit der Blaskapelle (La Banda) Castagnaro, den „Majorettes“ (Puschlmädchen), einigen Schulkindern der Scuola Elementare, mit einigen Gemeinderäten und natürlich der örtliche Bürgermeister Modenese Jonathan, der uns alle herzlich begrüßte. Abwechselnd sprachen unser Bürgermeister Stefan Deingruber, der neue italiensche Sindaco und die Vereinspräsidenten von Fischbachau (Christian Dehnert) und Castagnaro (Ginea de Grandis). Anna Rosa übersetzte die Reden angemessen und verständlich. Es wurde im Verlaufe ein abwechslungsreiches und sehr gefälliges Programm dargeboten, unter anderem mit der Bayernhymne, der deutschen und Italienischen Nationahymnen. Die Schulkinder hatten trotz geringer Probenmöglichkeiten unsere Nationalhymne auf Deutsch eingelernt und dargeboten.
Nach dem offiziellen Festakt checkten wir im Agroturismo „Le Clementine“ ein. Dort folgte eine lange Diskussion über die Zimmerverteilung, die aber letztendlich doch zu einem vernünftigen Ergebnis führte: Alle bekamen Zimmer und Bett! Um dreiviertel Acht gab es in Mena (Restaurant Semoqua) ein Abendessen mit verschiedenen Pizzen, dazu wurde roter und weißer Tischwein kredenzt, hernach noch Kaffee und Schnaps. Die Italiener hatten uns freundlicherweise eingeladen. Gut gesättigt tauschten die Bürgermeister und die Präsidenten ihre Gastgeschenke aus. Nach vielen Gesprächen auf Deutsch, Englisch und Italienisch, in denen es teilweise hoch herging, kehrten wir spätabends zu unserm Quartier zurück.
Samstag
Vom hartnäckigen Krähen des hauseigenen Gockels (ab 3:45 Uhr) geweckt, trudelten nach und nach die Teilnehmer (m,w,div.??) zum Frühstück ein, vom lauten „Guguuugu, Guguuugu, Guguuugu“ der Türkentauben begleitet. Gut gestärkt ging´s ab nach Ferrara. Nach gut einer Stunde kamen wir an ein Parkdeck mit intensiver Sonneneinstrahlung. Zu Fuß marschierten wir zur Altstadt, genauer zum Wasserschloß „Castello Estense“. Dort erwartete uns schon die Führerin, die sehr gut deutsch sprach. Die Familie d´Este hat ihren Ursprung ins 9. Jahrhundert n. Chr. Nach 1264 konnte die Familie ihren Einflussbereich auf Modena und Reggio ausdehnen, was eine lange Zeit grausamer Kämpfe zur Folge hatte. Ende des 13. Jahrhunderts konnte man die Herrschaft der Estenser endgültig als gefestigt erachten. Borso wurde von Kaiser und Papst zum Herzog erhoben. Ercole I. erweiterte die Stadt nach Norden, ein Vorbild-Projekt der Renaissance. Mit Alfonso II. endete 1597 die Herrschaft der Estenser, der Kirchenstaat übernahm die Herrschaft.
Nach der Staatsgründung und Einigung Italiens (Königreich Italien 1861 bis 1946) wurde die Burg von der Provinz Ferrara gekauft, die sie zu ihrem Sitz erkor. Die teils sehr aufwändige Ausstattung – einige Bereiche müssen nach dem Erdbeben immer noch restauriert werden – reicht von der Renaissance bis zum Frühbarock. Mangels Zeit besichtigten wir nur die Außenanlagen, Details bitte der einschlägigen Literatur entnehmen! Um ca. 13:00 genossen wir im Park von Ferrara ein Picknick (Merenda di Sacco), organisiert von den Freunden aus Castagnaro. Auf Parkbänken und auf der Wiese gab es mit Käse oder Wurst belegte Semmeln, zu trinken einen leichten weißen und einen Rotwein, natürlich auch Wasser für die durstigen Seelen. Eine Pflanzen-App namens „Flora Incognita“ half uns, die Namen und Herkunftsländer der verschiedensten Bäume zu erkennen.
Froh gestimmt kehrten wir zum Agroturismo Le Clementine zurück, erholten uns und setzten uns zu einem gemütlichen, unterhaltsamen Plausch zusammen. Welch´ ein Schreck! Laut schreiend hatte sich ein Riesenvogel auf einem nahen Baum niedergelassen. War das ein Geier oder was? Als wir uns näher schlichen, flog das Tier davon – es war nur ein Fasan, der sich einen Schlafplatz im Baum gesucht hatte. Die Hausleute hatten schon fürs Abendessen im alten Saal gedeckt, der aufwändig ausgemalt und mit kunstvoll gestalteten Vorhängen bestückt war. Um ca. 20:00 begann das phantastische Festmahl – diesmal hatte der Freundeskreis die Italiener eingeladen. Antipasti: Salami, Käse, Weißbrot; Primo: Lasagne, Pasta con carne; Secondo: kandierte Kürbisstücke, Kartoffeln und Rollbraten. Dolci: Kaffee und Kuchen, Grappa. Die Gespräche gingen wieder hin und her, in Deutsch, Englisch und Italienisch. Wo es an Wörtern fehlte, half allenthalben Gestik und die Mithilfe unserer bewährten Übersetzer. Spät klang der harmonische Abend aus.
Sonntag
Abfahrt nach dem obligatorischen Frühstück vom Agroturismo war ca. um 9:00 Uhr, die Ankunft in Bergamo ca. 12:00 Uhr. Die äußerst enge Einfahrt in das Parkhaus meisterten die Fahrer mit Bravour. Stefan und Ursula mussten in der Stadt parken, da ihr Auto wegen des Radlständers zu lang war. Na, wie kommt man zu Fuß aus dem Parkhaus wieder ins Freie? Gott sei Dank wies uns eine Graphik den Weg. Mit dem Aufzug gelangten wir tatsächlich in die Stadt. Eine unglaublich große Anzahl von Menschen wälzte sich durch die engen Gassen, inclusive Leuten mit knallgrünen T-shirts, die an einem Gesundheitstag der Region teilnahmen.
Als erstes nahmen wir im Restaurant Columbina das Mittagessen ein. Antipasti: eingelegte Zwiebeln, Gurken und Peperoni; Primo: Risotto und Casoncelli; Secondo: Brazato und Polenta; Dolci: Halbgefrorenes Karamel, Kaffee. Danach stürzten wir uns wieder ins Gewühle. Bergamo hat seinen Ursprung in keltischen Siedlungen, danach gründeten die Römer die Stadt „Bergomum“, Langobarden folgten, hernach die Franken unter Karl dem Großen; immer wieder rauften Mailand, Venedig und andere Städte um die Stadt Bergamo. Im 16. Jahrhundert bauten die Venezianer die Stadt zu einer nahezu uneinnehmbaren Festung aus. Dabei entstand die monumentale Stadtmauer, die 6 Kilometer mit Bastionen, Türmen, Toren und Wällen um die Altstadt verläuft. Sie wurde 2017 von der UNESCO zu einem Weltkulturerbe erklärt. Die Piazza Vecchia war mit Pflanzengruppen wunderschön gestaltet. Der Platz war und ist seit jeher das politische und gesellschaftliche Zentrum von Bergamo. Hier stehen das älteste Rathaus Italiens (12. Jht.) , der Torre Civica und der Contarini-Brunnen.
Von der Basilika „Santa Maria Maggiore“ sahen wir eine kahle Außen-Steinwand, innen erschlug uns fast die pompöse barocke Ausstattung: fast überall kunstvolle Stuckarbeiten, Deckenfresken, Gobelins und Holzintarsien. Zu sehen wären auch zwei große, immer noch bespielbare Orgeln und das Grab von Gaetano Donizetti, dem berühmten Komponisten gewesen. Am Eingang wurde leider Eintritt verlangt, so dass wir von einer weitergehenden Besichtigung Abstand nahmen. Stattdessen besichtigten wir die Grabkapelle „Colleoni“ von 1471 , die an die Basilika angebaut ist. Sie ist ein herausragendes Beispiel der lombardischen Architektur des 15. Jahrhunderts. Bartholomeo Colleoni war Capitano Generale der Republik Venedig. Die Kapelle ließ er zum Gedenken an seine 1470 verstorbene Tochter Medea und seine 1471 verstorbene Frau Tisbe Martinengo-Colleoni erbauen.
Nach einem steilen Anstieg erreichten wir die mittelalterliche Festung auf dem „Rocca di Bergamo“, errichtet im 14. Jahrhundert. Von hier hat man einen umwerfenden Blick auf die Altstadt mit Kirchen, Türmen und Plätzen, außerdem auf die Unterstadt, die „Città Bassa“, die ab dem 19. Jht. entstand. Für eine wirklich vollständige Besichtigung der Stadt wäre mindestens ein ganzer Tag vonnöten, besser noch eine ganze Woche. Schon starteten wir zur Heimfahrt, zunächst zurück Richtung Osten – vorbei an Verona – , dann Richtung Norden hinein in die Alpen, über Trient, Bozen zum Schloß Friedberg in der Nähe von Klausen.
Dort erwartete uns wieder ein respektabler Saal und ein sehr kompetente Bedienung. Wir genossen die südtiroler Küche und machten uns alsbald auf den Heimweg. Weil der Straßenverkehr erheblich nachgelassen hatte, kamen wir zügig voran und erreicht gegen 1:00 Uhr Fischbachau. So endete also eine – wie gewohnt – außergewöhnliche Fahrt, die wie immer dem Kontakt mit den italienischen Freunden, dem Kennenlernen der italienischen Kultur und allgemein der Völkerverständigung diente. Ganz nebenbei hatten wir einen Riesenspaß und es ging uns einfach hervorragend! Der Freundeskreis Castagnaro Fischbachau e.V. bedankt sich herzlich für die Einladung, für die tolle Organisation in Italien (Ginea de Grandis und alle Helfer, außerdem La Banda, Majorettes und die Schulkinder mit ihrer Lehrerin). Ein ganz besonderer Dank geht an die deutschen Organisatoren Christian, Maria und Peter Dehnert, die Fahrer der Busse Christian, Peter und Klaus Berger und alle Helfer der Unternehmung.
Hans Irger, 24. Sept. 2025